Die Riege der Berufswünsche und die überaus überzeugenden Gründe dafür
Als Kind hatte man noch Träume und man wird ja auch ständig von vernunftgesteuerten Erwachsenen gefragt, was man denn einmal werden möchte, so als wär man ja noch nichts. Schnell hat man aber herausgefunden, dass sie wissen wollen, welchen Beruf man einmal ergreifen möchte. Wenn man es schnell ausspuckt, hat man vielleicht bald Ruhe von diesen nervigen fragenden Erwachsenen. Manchmal zogen meine wöchentlich, beinahe täglich wechselnden Berufswünsche aber hartnäckiges Bohren und tadelnde Worte nach sich.
Mein erster Berufswunsch, den ich klar artikulieren konnte war Astrophysiker. Nun, wie kommt man darauf im zarten Alter von drei Jahren? Die Forschung lief straff auf Hubble zu, das 1990 in die Erdumlaufbahn gebracht wurde, eine Reihe von Vorgängern sendeten schon vorher von dort viele bunte Bilder von neugeborenen Sternen, Galaxien, Sonnen und Monden.
Damals, das war die Zeit als es nur drei Programme gab. Wir hatten ja nüscht, gell? Die Bilder waren neben der Knoff Hoff Show, die absoluten Highlights und ich und die Sterne, wir hatten so eine Verbindung. Weniger die Sterne, die man am Firmament sehen konnte, sondern mehr die Sterne die Hubbles Vorgänger sehen konnten. Ich wollte auch so werden wie der Forscher, gescheit daherreden und keiner sonst hatte eine Ahnung von der Materie. Außerdem war das Weltall ja sooo schön bunt und Bunt, dank geringer Entscheidungsfreudigkeit schon immer meine Lieblingsfarbe. Außerdem reizte mich die Grenzenlosigkeit des Alls und des Wissens, keine Ahnung was noch kommt war damals noch spannend, nicht beängstigend. Also stand ich um 23:15 Uhr auf, schlich mich heimlich ins Wohnzimmer. Setzte mich ganz nah vor den Fernseher, damit der nicht so laut gestellt werden musste und war mit dabei, wenn ein neuer Stern geboren wurde. Irgendwann kamen meine Eltern mir aber doch auf die Schliche, mir und den Sternen und hatten so gar kein Verständnis dafür, nach der Knoff Hoff Show sei Schluss mit Fernsehen für kleine Kinder. Damals hatte man ja noch keinen eigenen Fernseher im Zimmer. Elektronik war teuer und konnte auch noch repariert werden. Man konnte so noch gut den Fernsehkonsum des Kindes, auch ohne elektronische Kindersicherung beobachten. Ich war raus aus der Starconnection. Dank des Unverständnisses meiner Eltern ging in mir bestimmt ein großer Astrophysiker verloren.
Der abstrakte Berufswunsch wurde bald von einem neuen ersetzt,
einem wie ich fand leichter zu realisierenden: Ich wollte Landstreicher werden.
Um auf diese Idee zu kommen brauchte ich noch nicht einmal einen Fernseher.
Sozusagen ein Rückschritt in der Unterhaltungsindustrie. Ich entdeckte meinen
Traumberuf nicht im Hartz-IV-TV von RTL oder Pro7, sondern beim Spazierengehen
mit ungefähr vier Jahren.
Damals, Mitte der 80er kam regelmäßig meine Tante zu
Besuch. Alleinstehend, pedantisch, Oberschwester im Krankenhaus,
kinderlos…daher fand sie es tres chique mit Klein-Bettina durch den Ort zu
spazieren. Brav in ein rosarotes Kleidchen gesteckt, am besten noch mit Schleifchen auf dem Kopf oder zumindest ein Hütchen. Wenn Tante kam wurden die
dreckigen und löchrigen Jeans versteckt. Zum Glück kannte man immer den
Schichtplan von Tantchen. Ich hatte viele dreckige und löchrige Jeans. Proteste
halfen nichts. Es war auch immer zu frustrierend mit den braven Nachbarsmädchen
von Mutter verglichen zu werden: „Wieso bist nur Du immer so dreckig“.
Nach
diesem Spaziergang wusste ich: Es ist Schicksal. Ich bin dazu bestimmt. Ich
weiß was aus mir mal wird. Die Reaktionen in meinem Umfeld waren verhalten bis
entsetzt. „Was soll aus dem Kind nur werden“, rief die Tante. „Ich habs
gewusst“, seufzte mein Bruder. An diesem Tag beim Spaziergang kreuzte ein
junger Mann unseren Weg, er hatte sonnengegerbte Haut, eine speckige Hose und
einen braunen Rucksack mit aufgebundenem Schlafsack auf dem Rücken. Ein
klappriges Fahrrad begleitete ihn. Meine Aufmerksamkeit war sofort zu 100
Prozent bei ihm und zu 200 Prozent abgelenkt von meiner Tante. Ich zog sie
dennoch am Rockzipfel und fragte mit kindlicher Begeisterung: „Tante, Tante,
wer ist das?“. Der Mann lächelte und sagte Hallo. Ich sagte, wir es mir
beigebracht wurde auch Hallo und lächelte zurück. „Pfui, schau net hin, des is
a Landstreicher. Der stinkt ja bis daher!“ ,
zischte die Tante und zog mich gar nicht mehr damenhaft, sondern sehr
rabiat weiter. „Ich will auch mal Landstreicher werden. Da muss man sich nicht
waschen und kommt viel rum, man kann arbeiten wann man will, oder eben nicht“, meinte ich .Später stieß ich sogar noch auf eine schillerndere Variante des Landstreichers, den Globetrotter. Ein Landstreicher der hin und wieder ein Flugzeug betritt, damals ohnehin ein Sehnsuchtsort für mich. Ein echtes fliegendes Flugzeug und ich sitze drinnen. Ich war begeistert. Aber auch dieser Berufswunsch stieß auf Abneigung.
Wiederum etwas später entdeckte ich das Wort "Kosmopolit", ich glaube, irgendwo in der Tagesschau und ich glaube, das Attribut galt Gorbatschow, auf jeden Fall dachte ich: "Mensch, das wäre doch auch was für dich." Man erklärte mir aber dann, dass man auch damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten könne, sondern man müsse das allerhöchstens mit irgendwas handfestem verbinden. Ich solle doch erstmal was "Gescheites" lernen.
Aufgrund der geringen Unterstützung meiner Umgebung waren die Post-Landstreicher-Berufswünsche zum Scheitern verurteilt. Zwischenzeitlich hatte ich noch den Wunsch als Berufsziel, ins Geschichtsbuch zu kommen. Was ich da hätte werden müssen, will ich mir nicht näher vorstellen...Nobelpreisträger fand ich persönlich ja schon immer faszinierende Geschöpfe. Aber aufgrund der geringen Unterstützung meiner Umgebung...
Danach kam eine lange Phase des Downsizings, die mir selbst nicht ganz geheuer war, so vernünftig schienen mir die Wünsche: Archäologe war noch der Abgefahrenste, aber Kellner, Stewardess, Dekorateurin oder Steuerfachangestellte stellten die bohrenden Nachfragen auf meine Antworten endgültig ein. Beängstigende Stille...
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