Dienstag, 14. Juni 2011

Hat nur das Nützliche Berechtigung?

Eine Frage kennt wohl jeder, der etwas studiert, das jenseits von Ingenieurwesen oder Lehramt liegt: „Was kann man denn damit später mal machen?“. Diese Frage muss nicht unbedingt von einem bösartigen Wink auf die eventuelle berufliche Zukunft motiviert sein, aber sie liefert einen Hinweis auf die Sichtweise des Fragenden. Er kann keinen direkten Zusammenhang zu einem Beruf entdecken, erkennt nichts Nützliches an dem genannten Studiengang. Bei mir war es vor allem die Philosophie, mit der die meisten so ganz und gar nichts anfangen konnten. Bei Politikwissenschaft, meinem Hauptfach, war die Ableitung zu einem Beruf einfacher, wenn auch falsch. 
Oft gehörter Satz nach dem Fehlschluss Politikwissenschaftler werden automatisch Politiker war: „Ja, solche muss es auch geben.“ Wenigstens ein Funke Nützlichkeit konnte identifiziert werden, wenn auch für die meisten Politiker auf gleicher Stufe mit Verbrechern rangierten. 


Damit muss geklärt werden, was ist Nützlichkeit und was bedeutet Sie für unser Leben? Nutzen verbindet man mit industrieller- und landwirtschaftlicher Produktion, mit Mastschweinen, Kunstdünger oder Fertigungsmaschinen. Alles was man brauchen kann, was einen direkten Gewinn verursacht und die Lebensqualität steigert. Zumindest auf den ersten Blick. Aber kann man Menschen und ihre Lebensläufe in Kosten-Nutzen-Bilanzen fassen? Will ich ein Mastschwein sein, dessen Bestimmung nur eins ist – möglichst schnell fett, um bald geschlachtet zu werden? 


Wie schnell sich die Interpretation des Nützlichen verändern kann. Bei den alten Griechen und Römern waren Philosophen und Politiker hochgeachtete Menschen. Handwerker, Lehrer und sogar Mediziner wurden als Sklaven gehandelt. Schnell ist relativ, genauso relativ wie die zugrunde gelegte Werteskala. Heute hat sich die Hierarchie umgedreht. Wenn so etwas möglich ist, haben es Menschen und ihre Begabungen verdient Teil einer relativen Werteskala zu sein? Im Kapitalismus zählen andere Werte als in der Antike. Technischen Fortschritt gab es damals durchaus, aber nicht in dem Maß wie heute. Damit ist Technik und Technikbeherrschung in den Mittelpunkt gerückt. Praktisches Können kommt vor Theorie, probieren vor Studieren. Der technische Fortschritt ist ein Segen, wenn er kritisch betrachtet wird und nicht einseitig nur vom Aspekt des Gewinns, des ständigen Wachstums. 



Eine bessere Vernetzung der Wissenschaften, erreicht durch Studiengänge wie „Philosophy & Economics“, könnte einen Wandel herbeiführen. Damit hat das Bologniasystem doch noch einen Vorteil: Es hat die eigenartigsten Studiengänge generiert, die in ihrer Vielfalt so unterschiedlich sind, dass es vermutlich bald kein Primat mehr von ein bis zwei Studiengängen gibt. „Philosophy & Economics“ ist nur ein Beispiel, aber ein ziemlich gutes. Hauptberuflichen Philosophen, sofern es die noch gibt, wird bestimmt schwindelig bei der Verquickung mit einem solch nutzenorientieren Wissenschaftszweig, wie den Wirtschaftswissenschaften. Denn schließlich lebt die Philosophie ja von ihrer Unabhängigkeit, ihrer „Nutzlosigkeit“. So mancher BWLer rümpft angewidert die Nase: „Für was brauch ich Ethik. Zahlen sagen mehr aus, als philosophische Diskussionen.“ Genau deshalb, denn nie damit konfrontiert, ist es leicht sich hinter Statistiken, Kosten-und Leistungsrechnungen und Marketingstrategien zu verstecken. So entstehen Gesellschaften die immer kurz vor dem Abgrund stehen und nur durch einen flinken Haken nicht in die Tiefe stürzen. Kurzfristiges Denken auf Grundlage von sichtbaren Fakten und Zahlen bewirkt eine Unbeweglichkeit, die gerade unsere Gesellschaftsform nicht brauchen kann. Der Fortschritt lebt von kreativen Geistern. Kreativität entsteht durch Spielen und Müßiggang. 
Eben nicht durch nutzenorientiertes Handeln. 


In „Philosophy & Economics“ werden die Studenten dazu gezwungen sich frei zumachen von den Zwängen der Statistiken. Es ist anstrengend, ständig alles zu hinterfragen, zu zweifeln. Aber es ist eben langfristig zu einfach diese Fragen zu umgehen. Führungskräfte müssen sich bewusst sein, dass ihr Handeln sich nicht nur in Bilanzen niederschlägt, sondern sich auf die Gesellschaft oder die Umwelt auswirkt, positiv wie negativ. Sich den Zweifeln der Philosophie stellen, bewirkt bei vielen eine tiefe persönliche Krise. Die Erkenntnis nicht perfekt zu sein, weil es keine 100prozentigen Lösungen gibt und sich die Philosophie oft im Kreis dreht. Aber sie entlarvt nur das wahre Leben. Stellt uns vor die eigentlichen Tatsachen. Zwingt uns zum Abwägen. Lehrt, uns nicht in bloßes Perfektionsstreben zu erschöpfen.  
Während Wirtschaftswissenschaftler sich gerne hinter Bilanzen verstecken, weil sie keine Lösung der Probleme finden, ziehen sich Philosophen in ihren Elfenbeinturm zurück. Sie scheuen die Einmischung, weil ihre reine Wissenschaft dadurch beschädigt werden könnte. Raushalten ist keine Lösung und keine gute Werbung für eine Wissenschaft, die die Mutter aller anderen ist. Einmischen, ihr Elfenbeinturmbesetzer. Nicht verzweifeln am Unperfekten, das sind wir schließlich alle und wir müssen damit leben.

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